Mon conseil : Pas de conseil

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Genauer gesagt: Kein Verhaltens-Tipp ohne Kampagne

So viel Aufwind wie heute hatte die Umweltbewegung seit der Waldsterbe-Debatte Mitte der 1980er-Jahre nie mehr gehabt. Seit zwei Jahren schwappt eine Klimawelle über die Welt, und damit auch über die Schweiz. Mit u.a. den Folgen, dass das Parlament 2019 begrünt worden ist und dass nun selbst die FDP Klima ein Thema findet. Hoffnung herrscht, dass sich in den nächsten Jahren auf Gesetzesebene klimatisch einiges zum Guten bewegen wird.

 

Zu befürchten ist allerdings, dass die Bewegung hin zum Guten nicht so schnell geschehen wird wie erhofft; so wird etwa das neue, einigermassen griffige CO2-Gesetz per Referendum bekämpft. Zwar ist zweifellos der Druck zum Klima-Handeln gestiegen, doch nach wie vor verhindern und verzögern mächtige Wirtschafts-Lobbys (wie eben etwa die Öllobby) wirksame gesetzliche Massnahmen (1). So wie wir es in ähnlicher Weise im letzten November in der Corona-Krise mitverfolgen konnten, als die bürgerliche Kreise Wirtschaftsinteressen über das Gemeinwohl stellten. Statt die Krise als Chance zu nutzen und das Wiederaufbauprogramm mit Klimavorgaben zu verbinden, wird auf Altunbewährtes gesetzt. Hauptsache die Wirtschaft wächst wieder. 

 

Wenn es trotz Dringlichkeit langsamer geht als erhofft, sollten sich Organisationen, die sich dem Klimaengagement verschrieben haben, mit Blick auf ihre Aktivitäten einer alten und einer neuen Gefahr bewusst sein: 

 

Alte Gefahr: auf Tipps für Verhaltensänderungen ausweichen

Kann einem Missstand nicht genügend schnell mit Änderungen auf der Gesetzesebene begegnet werden, neigen Engagierte dazu, sich über ihre Organisationen dem Bereich der persönlichen Moral zuzuwenden. Sie verbreiten dazu Informationen über ein Übel ergänzt mit Appellen, Verhaltenstipps oder Zurechtweisungen, die das «richtige Verhalten» von Einzelpersonen einfordern. Dieses Propagieren korrekten Umweltverhaltens hatte es schon mal vor zwanzig Jahren gegeben. Bereits damals wurde moniert, Verhaltenstipps geben bedeute, Umweltschutz als Sache des Individuums und seiner Moral zu machen, was aber keine gesellschaftliche Änderung bringe (2). 

 

Besagtem Handlungsdruck mit der Verbreitung von Informationen und Verhaltenstipps zu begegnen, mag ein Ventil sein; dem Klima indes nützt es wenig. Denn es sind immer nur Schon-Überzeugte und Pflichtbewusste, die durch Informationsaufnahme ihr Verhalten ändern. Und das sind wenige. Solange solches aber nur vereinzelt geschieht, bewirkt die eigene Verhaltensänderung ausser einem guten Gewissen nichts. Verhaltensänderungen werden fürs Klima erst relevant, wenn sie massenhaft geschehen. Und massenhaft zum Tragen kommt nur das, was gemeinsam beschlossen, verordnet oder mit einer Kampagne angestossen wird. In fast allen andern Fällen scheitert die Strategie über freiwillige Verhaltensänderungen an der Trägheit der Mehrheit. 

 

Dass entgegen der Erkenntnisse (siehe dazu z.B. die Artikel (3)) trotzdem versucht wird, diesen Weg zu beschreiten, ist der Tatsache geschuldet, dass er einleuchtend scheint: Erstens, über ein Problem informieren schaffe zweitens Bewusstsein und dieses löse drittens die gewünschte Verhaltensänderung aus. So der Dreischritt der moralischen Aufklärung. Doch Moral schüttet das Kind mit dem Bade aus.

Denn die Sozialpsychologie zeigt, dass Normen («tun was die Mehrheit tut»), Rebound-Effekte (Eingespartes wird anderswo wieder ausgegeben) und die Allmendeklemme («die anderen sollen zuerst anfangen») die Verhaltensänderungen Einzelner wie Tropfen im Meer untergehen lassen (mehr zu den sozialpsychologischen Effekten siehe Kasten). Tipps für korrektes Verhalten bewirken nicht selten sogar das Gegenteil dessen, was sie beabsichtigen: Man nimmt sie als willkommenes Angebot, durch das Einhalten des einen das Ignorieren des andern zu rechtfertigen im Stile von: “Ich fahre täglich Velo, also darf ich ab und zu fliegen”. Man tut, was einfach geht, um sich für das entschuldigen zu können, wo man tatenlos bleibt. Kommt hinzu, dass wer engagiert an der eigenen Ökobilanz feilt, sich entpolitisieren kann: Man hat ja seinen Beitrag geleistet.

 

Es geht selbstverständlich nicht darum, jene zu verunglimpfen, die sich klimaschonend verhalten. Nur als Strategie für systemische Veränderungen einer Organisation ist es untauglich, den Hebel bei freiwilligen Verhaltensänderungen anzusetzen. Tipps und Appelle zielen auf Symptome statt auf Ursachen ab. Das ist so, als würde dazu aufgerufen, den Boden aufzuwischen, während der Wasserhahn offen bleibt und die Badewanne weiter überläuft. Ziel sollte vielmehr sein, den Wasserhahn zuzudrehen. Das heisst, es geht darum, die Klimaschutz-Bestrebungen auf sozialpsychologische Einsichten (siehe Kasten) abzustützen und trotz aller Dringlichkeit das Langfristige nicht aus den Augen zu verlieren. Denn Appelle - fahr weniger Auto!, iss kein Fleisch!, heiz weniger!, verzichte auf Plastik! - führen zu keinem relevanten Mass an Verhaltensänderungen. Verhaltensanweisungen wirken nur, kann eine Gefahr mit eigener Kraft unmittelbar abgewendet werden. Wie bei Covid: Den Anweisungen «Hände waschen», «Räume gut lüften» und «Distanz halten» zu folgen, hilft direkt, eine Ansteckung zu vermeiden. Doch dieser unmittelbare Effekt tritt bei Umweltbelangen nie ein (bzw. höchstens kleinräumig). Erst recht nicht bei Klimafragen. Und hier lauert die «neue Gefahr».

 

Neue Gefahr: Auf Dringlichkeit pochen, doch unmittelbare Klimaschutz-Effekte gibt es nicht.

Die Erdatmosphäre ist ein äusserst träges System. Was heute mit ihr getan wird, zeigt sich nicht schon morgen, sondern erst überüberübermorgen. So haben die Wetterkapriolen von heute ihre Ursachen in den 1990er und den Nuller Jahren. Anders gesagt: Würde ab morgen kein CO2 mehr ausgestossen, dauerte es mehr als zehn Jahre bis eine positive Klimaänderung spürbar würde. Doch noch immer wird oft alarmistisch auf Katastrophe gemacht, um so Menschen zu Verhaltensänderungen zu drängen. Solche Kommunikation birgt das Risiko des Zurückkippens: Gehorchen Menschen nicht aus Überzeugung, sondern wegen der Dringlichkeit und ändern ihr Verhalten, werden sie rasch zu den alten Mustern zurückkehren, wenn sich ihrer Verhaltensänderung zum Trotz das Klima doch nicht bessert.  

Für sie fühlt sich das an wie die Nutzlosigkeit eines einzelnen Tropfens in einer leeren Giesskanne. Um das Gefühl zu bekommen, als Tropfen von Belang zu sein, braucht es die Gewissheit, gemeinsam mit vielen andern die Kanne zu füllen. Das ist der Kampagnenansatz für Lösungen (siehe dazu die zehn «Pathways of Change» (4) sowie die Kolumne zu sozialen Normen).

 

Was heisst das?

Es ist ja eigentlich absurd, bei der Notwendigkeit einer Reduktion von Abermilliarden von Tonnen CO2, mit viel Einsatz einzelne Kilos über freiwillige Verhaltensänderung weg bringen zu wollen. Fürs Klima brauchen wir Politik, nicht individuelle Moral. Wie es Claudia Kemfert in ihrem Buch Mondays for Future schreibt: «Wo es ihnen [den Bürger*innen] schwerfällt, Gewohnheiten abzulegen, muss der Staat mit Verboten helfen». Und wenn der Staat bürgerlich ist, muss man versuchen, ihm mit Kampagnen auf die Sprünge zu helfen, um Verhaltensgebote durchzusetzen. Das ist die eine, übliche Art Kampagne, auf den Gesetzgeber einwirken.  Die andere: Ist für ein Ziel eine bestimmte (massenhafte) Verhaltensänderung zentral, muss ihr mit einer langfristigen Kampagne zum Durchbruch verholfen werden, das heisst über eine neue gesellschaftliche Norm (s. Kasten) zum Verbot bzw. Gebot.
Mit anderen Worten: Statt die Klimakrise mit hunderten von Tipps zu begleiten (siehe z.B. BAFU. Das Magazin oder Naturschutzbund), wäre es wirksamer, eine oder zwei besonders relevante Verhaltensänderungen (5) mit viel Kampagne und Kommunikation so weit zu bringen, dass jede/r merkt, dass am Hahn gedreht wird. 

Ist man beispielsweise überzeugt, fleischarm zu essen und massenhaft getan sei klimarelevant, und es sei ausserdem gut, damit modellhaft in der Schweiz zu beginnen (5), dann reicht es nicht, einen Ratgeber für eine fleischarme Ernährung in Form eines Posters herauszugeben und den Mitgliedern zu schicken. So wird nicht fleischarm. Das gute Gefühl nach der Publikation einer Aufklärungsschrift ist trügerisch. Es entspringt der dafür aufgewendeten Energie – man hat «etwas» getan – und nicht der Wirkung. Nachhaltige Wirkung erzielt nur eine mehrjährige Kampagne mit Partnern und mit Partizipation.

 

(Lösungs-)Kampagnen – ob für ein Dorf oder fürs ganze Land angelegt – lassen Menschen, die ihr Verhalten ändern, erfahren, dass sie nicht alleine sind. Es geht mehr um Aufwärmung und weniger um Aufklärung. Zeigen statt predigen: Die meisten Menschen kommen übers Handeln zum Denken und nicht umgekehrt, also erfahrbar machen, dass Verzicht nicht nimmt, sondern gibt: Das ist des Pudels Kern nachhaltiger Entwicklung. So kann mit einer Kampagne die Allmendeklemme geknackt werden, und z.B. eine neue Norm entstehen.

 

(1) siehe etwa “Sieben Gründe, warum die Schweiz im Jahr der Pandemie den Klimaschutz verschlafen hat”, Artikel in der Republik vom 18.12.20

(2) siehe dazu z.B. Den Spiess, nicht den Spiesser umdrehen)

(3) Erkenntnisse zur Nichtwirkung von Klima-Tipps: 

 

(4) «Pathways of Change - 10 Theories to Inform Advocacy and Policy Change Efforts», darin namentlich die sog. taktischen “Theories of Change”, die auf (sozial)psychologischen EInsichten beruhen

(5) Am besten im Einklang mit einer der 137 Massnahmen, die die Klimastreikbewegung für eine klimaneutrale Schweiz bis 2030 vorschlägt 

(6)  Die Schweiz ist «nur» als Banken- und Rohstoffhändler «Gastland» global klimarelevant, nicht aber in ihrem Binnenausstoss, der weniger als 1% der weltweiten klimarelevanten Emissionen ausmacht. Wenn in der Schweiz klimapolitisch etwas getan bzw gefordert wird, ist es vor allem dann relevant, wenn es mit Blick auf eine Kopiervorlage für andere Länder getan wird.

 

Vier verhaltensrelevante sozialpsychologische Grundmuster
 

  1. Das Verhalten der Mehrheit wirkt als gesellschaftliche Norm. Und neue Normen können sich entwickeln, z.B. das, was in einer gesellschaftlichen Gruppe entstanden ist, kann durch Trend, Influencer oder Kampagne sich verbreiten. Normen sind oft Vorläufer für Gesetze. Denn es ist wahrscheinlicher, dass ein Gesetz eine Folge einer sich verbreitenden Norm ist, als dass mit einem Gesetz eine Norm erzwungen werden kann: Gesetzgeber neigen dazu, sich gesellschaftlichen Veränderungen anzupassen und nicht umgekehrt (mehr dazu in der Kolumne «Wenn Umweltschutz einladend ist»)
  2. Die «Allmende-Klemme» besagt, dass ein öffentliches Gut (z.B. Luft oder eben eine Allmende) umso stärker für eigene Zwecke gebraucht und dadurch belastet wird, je weniger das Nutzungsverhalten unter den Nutzer/innen abgesprochen ist. Nach dem Motto: «Ich bin mir nicht sicher, was die anderen tun. Deshalb nehme ich lieber zu viel als zu wenig». Eigennütziges Verhalten wird mit Ausreden wie «Sollen andere doch anfangen!», oder: «Auf meinen Beitrag kommt es eh nicht an!» gerechtfertigt (mehr dazu im Wikipedia).
  3. Der «Rebound-Effekt» bedeutet im ökologischen Zusammenhang, einen Umweltgewinn durch Mehrgebrauch wieder zu verlieren. Zum Beispiel: Wer Energie spart, spart Geld. Wird dieses eingesparte Geld aber z.B. für Produkte mit viel grauer Energie ausgegeben, wird der Energiespareffekt zunichte gemacht.
  4. Der Stupser - neudeutsch “Nudging”. Unterschwellig zum gewünschten Verhalten schubsen ist eine wirkungsvolle, wenn auch nicht immer unproblematische Methode. Mehr dazu in der Kolumne zur “Ökoselbstverständlichisierung”.
Kuno Roth

Unser Autor

Arbeitet als Leiter des globalen Mentoring-Programms bei Greenpeace International. Zuvor war er 25 Jahre lang Bildungsverantwortlicher von Greenpeace Schweiz. 

Jahrgang 57, Dr. rer. nat., ehemaliger Chemiker, arbeitet nun als Humanökologe, Lernspezialist sowie auch Schriftsteller. Neben Kolumnen schreibt er vor allem Gedichte und Aphorismen. Seine letzten Veröffentlichungen sind «Im Rosten viel Neues» (Gedichte, 2016) sowie «Aussicht von der Einsicht» (Aphorismen, 2018). Sein neuestes Buch ‹KL!MA VISTA – Die Schneefallgrenze steigt› Gedichte und Aphorismen ist am 23.10.2020 bei Pro Lyrica erschienen.

Kuno Roth