Selbstbestimmt ist nicht selbstverständlich
Hanna Della Casa von Kampagnenforum beschreibt ihr Herzensprojekt
Vor etwas mehr als 2 Wochen hat der Verein «leben wie du und ich» die Kampagne Selbstbestimmtes Leben lanciert. Diese Kampagne ist ein Herzensprojekt, denn es geht um etwas ganz Persönliches: Das Recht von Menschen mit Behinderung auf Selbstbestimmung und Inklusion. Damit dieses umgesetzt werden kann, braucht es ein neues Bewusstsein bei Volk und Politik. Dafür setzen wir uns ein.
Seit fast zwei Monaten bin ich beim Kampagnenforum und arbeite an der Kampagne Selbstbestimmtes Leben mit. Dass die Rechte von Menschen mit Behinderung garantiert werden, ist ein Thema, das mir persönlich nahe geht. Durch die Mitarbeit an dieser Kampagne sind mir Dinge bewusst geworden, an die ich so vorher nicht gedacht hatte. Immer wieder hat mich die Auseinandersetzung mit diesem Thema dazu angeregt, zu reflektieren und mir Fragen zu stellen: Werden die Rechte, die in der UN-Behindertenrechtskonvention niedergeschrieben sind, in der Schweiz auch umgesetzt? Gibt es Angebote für Menschen mit Behinderung, ein Leben mit persönlicher Assistenz zu führen? Da findet auch Google keine schlüssige Antwort.
Genau hier setzt die Kampagne Selbstbestimmtes Leben vom Verein leben wie du und ich an. Sie will Bevölkerung und Politik aufklären und ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Menschen mit Behinderung dringend Zugang zu bedarfsgerechter persönlicher Assistenz brauchen. Durch die Unterstützung von persönlichen Assistent*innen können Menschen mit Behinderung normal und selbstbestimmt in einer eigenen Wohnung leben.
Ein Bild da aufhängen, wo es einem gefällt
Die eigenen vier Wände sind ein wichtiger Rückzugsort, den man sich so einrichten und gestalten möchte, dass man sich wohlfühlt. Erinnerungsfotos im Wohnzimmer aufhängen. Die Lieblingsvase auf den Esszimmertisch stellen. Zuhause ist das kein Problem, lebt man jedoch im Heim, fühlen sich nicht alle gleich wohl damit, und das Wohnzimmer wird meist mit allen geteilt. Aufgrund von Vorschriften und des erforderlichen Einverständnis von allen Beteiligten, müssen darum persönliche Vorlieben oft hinten angestellt werden. Viele Menschen wünschen sich daher ein Leben mit persönlicher Assistenz in einer eigenen Wohnung statt im Heim.
Das Recht auf freie Wahl der Wohn- und Lebensform ist in der UN-Behindertenrechtskonvention verbrieft. Schon vor sieben Jahren hat die Schweiz diese Konvention ratifiziert. In der Realität existiert das Leben mit persönlicher Assistenz in der Schweiz jedoch nach wie vor kaum. Das ist verwunderlich, denn das Leben mit persönlicher Assistenz ist nicht teurer als ein Leben im Heim. Auch die Assistenz-Lösung würde finanziert durch behördliche Gelder. In der Pflicht steht übrigens der Kanton. Mit dem Geld werden die Assistenzpersonen entlohnt, die Miete bezahlt, Nebenkosten beglichen und die Unterstützungsdienste für die Organisation und das Management der Assisten:innen vergütet.
Das Modellprojekt
Seit 2015 unterhält der Verein leben wie du und ich ein Modellprojekt im Kulturpark Zürich-West für fünf Menschen mit Behinderung, welches A) aufzeigt, wie ein selbstbestimmtes Leben mit Assistenz aussehen kann und B) dass diese Form möglich ist. Menschen mit Behinderung, Assistenzpersonal und reguläre Mieter unterschiedlichen Alters und Herkunft leben im Kulturpark. Da Menschen mit Behinderung vielfältige Bedürfnisse haben, brauchen sie ein Assistenzteam von bis zu 10 Personen, damit eine Rundumbetreuung garantiert ist
Projektteilnehmende im Kulturpark in Zürich-West / Bild: zVg
Dieses zu koordinieren kommt der Führung eines Kleinunternehmens gleich: Vom Bewerbungsgespräch über die Logistik bis zu den Lohnzahlungen muss alles bewältigt werden. Ich habe mich gefragt: Wäre ich dazu in der Lage, all diese Aufgaben alleine zu lösen? Ziemlich sicher wäre ich damit überfordert und ich wüsste auch nicht, wie ich neben meinen anderen Verpflichtungen Zeit dafür finden sollte. Der Verein leben wie du und ich löst all diese Aufgaben seit mehr als fünf Jahren ohne behördliche Unterstützung und ist bereit, seine Erfahrungen zu teilen.
Es sind die kleinen Dinge
Die Kampagne hat mir auch geholfen zu realisieren, was es bedeutet, seinen Alltag mit Behinderung zu organisieren. Da ist so vieles, was wir für selbstverständlich halten, was für Menschen mit Behinderung nicht so ist. In einer eigenen Wohnung leben, Körperpflege im eigenen Bad, Einkaufen und Kochen, Freunde einladen, zum Arzt, zur Arbeit oder in den Sportverein gehen. All das ist bei einem Leben im Heim nicht oder nur beschränkt möglich. Dabei spielen solche zwischenmenschlichen und gesellschaftliche Ereignisse und Aktivitäten eine sehr wichtige Rolle, um sich als aktiver Teil der Gemeinschaft zu fühlen.
Racletteplausch in einer der Wohnungen. / Bild: zVg
Das Leben mit persönlicher Assistenz ermöglicht diese Dinge und schafft Freiheit und Selbstbestimmung. Menschen mit Behinderung können sich ihre Assistenzpersonen selber aussuchen und entscheiden, wann, wie und wo diese sie unterstützen. Sie können so ihren Alltag flexibler, spontaner und selbstbestimmter gestalten. Auch hier habe ich mir wieder überlegt: Wie wichtig ist mir Selbstbestimmung? Es beginnt mit den kleinen Dingen wie der Wahl, was man gerne essen möchte, wann man aufsteht oder was und wo man einkaufen geht. Das Gefühl selber entscheiden zu können und die Zügel in der Hand zu haben, hat einen grossen Einfluss auf unser Wohlbefinden. Ich kann mich noch erinnern, was für ein gutes Gefühl es war, in eine neue Stadt zu ziehen, ganz ohne Eltern, in meine eigene kleine Wohnung.
Helfen Sie mit!
Für junge Menschen mit Behinderung ist dies oft nicht möglich, da sie auf die Betreuung durch Familienangehörige angewiesen sind oder ansonsten nur die Alternative Heim besteht. Das soll sich ändern. Damit Menschen mit Behinderung ihre Träume verwirklichen und selbstbestimmt in einer eigenen Wohnung oder WG leben können, braucht es unser aller Engagement. Das Crowdfunding auf WeMakeIt zur Kampagne Selbstbestimmtes Leben läuft noch bis am 25. Oktober 2021 und und jede Spende zählt! Schau doch vorbei und setze Dich mit einem Betrag dafür ein, dass Menschen mit Behinderung durch persönliche Assistenz, wie du und ich, inmitten der Gesellschaft leben können.
Hanna Della Casa