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Zuhören – der Dünger für jeden Wandel
Zuhören – der Dünger für jeden Wandel
“Zuhören führt zu besseren Leistungen - bei der Person, die zuhört, der Person, der zugehört wird, und als Konsequenz auch in der gesamten Organisation” lautet das Fazit des Zuhör-Forschers Guy Itzchakov [1] – und ich möchte hinzufügen: sowie zu besseren Change-Prozessen und Kampagnen. Und es fragt sich also, warum Zuhör-Training nicht längst Teil jeder Organisationsentwicklung und jeder Kampagne ist. Wohl, weil man keine Zeit dafür zu haben meint.
Dabei ist jeder und jedem bekannt, dass als Folge mangelnden Zuhörens oft aufwändige Korrekturen oder Konflikte folgen. Aus Zeiteffizienzgründen verzichtet man aufs Nachfragen und Auseinandersetzen, legt aktivistisch los und wundert sich, dass nicht alle mitdabei sind. So wird aus einer Abkürzung ein Umweg, die ‘gesparte Zeit’ ist bald wieder weg. Und dies, obwohl im Prinzip alle das Gefühl kennen, sich unmittelbar besser zu fühlen, sobald einem zugehört wird: Wer sich verstanden fühlt. fühlt sich besser.
Wie geht gut Zuhören?
Gut zuhören ist ein Verstehen, das tiefer geht als das kognitive Erfassen des Gesagten. Es geht auch um dessen Erfühlen, um das Hören zwischen den Zeilen. Oder in Anlehnung an den ‘Peitit Prince’: um das Hören mit Herz. Erfährt bzw. erfühlt man hinter dem Gesagten liegende Interessen, Ängste, Bedürfnisse und Sorgen, bietet das gute Anknüpfungspunkte für Resonanz oder für Zwischenmenschliches zum Beispiel bei Verhandlungen.
Eine Forscherin und Praktikerin guten Zuhörens ist die US-amerikanisch-englische Psychologin Nancy Kline, die Autorin des Standardwerks “Time to Think” (siehe Kasten). Für sie ist gut Zuhören zuallererst Aufmerksamkeit schenken. Dadurch verbessere sich die Qualität des Denkens der Menschen, denen gut zugehört wird. Von ihr ist die Anekdote überliefert, wie sie einen Italiener mit ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit aufs eigene Denken gebracht hat: Ohne italienisch zu verstehen, hat er dank ihrer vollen Präsenz sich selber zugehört und so die Lösung für sein akutes Problem gefunden. Es geht also zudem auch darum, dass bei jenen, denen zugehört wird, ein Nachdenken beim Artikulieren und Sich-Zuhören ausgelöst wird. Mit Ratschlägen helfen zu wollen, damit es schneller geht, ist verständlich – doch am besten ist durch gutes Zuhören geholfen: “Echte Hilfe (…) besteht darin, den Menschen zuzuhören, ihnen respektvolle Aufmerksamkeit zu schenken, damit sie zuerst Zugang zu ihren eigenen Ideen finden können.” Doch unter “der Furcht, für das eigene Denken bestraft zu werden, unterdrücken die meisten Menschen ihre Ideen, die von Bedeutung wären und einen Unterschied machen würden, wenn sie vollständig entwickelt werden könnten.”, schreibt Nancy Kline [2].
Was auf der anderen Seite schlechtes Zuhören ist, kennen alle: Unterbrechen, ungeduldiger Unterton, Einwände und Besserwissen, auf die Uhr schauen, abgelenkt sein, Thema wechseln oder auch Stichworte kapern, um die eigene Story zu bringen. Oder wenn voreilig Rat- und Vorschläge eingebracht werden [3].
Würden Ratschläge fruchten, würde es keine Psychlog:Innen brauchen, meinte Carl Rogers, der Mitbegründer der humanistischen Psychologie, die unter anderem auf seiner Methode des aktiven Zuhörens basiert. Wenn nämlich einem Menschen aktiv zugehört wird, merkt er dadurch, “dass sich jemand seine Gefühle mit Akzeptanz anhört” und das versetzt ihn “Schritt für Schritt in die Lage, sich selbst zuzuhören”, wie er in seinem Hauptwerk “Entwicklung der Persönlichkeit” schreibt [4].
Wie Nancy Kline war auch Carl Rogers die Gabe gegeben, ganz im Kontakt mit der anderen Person und völlig präsent zu sein. Sie praktizieren so Zuhören nicht nur als Technik, sondern auch als Begegnung und spielen dabei die Rolle des/der nichtwissenden Neugierigen. Versuchen wir diese Haltung einzunehmen, können auch wir Nicht-Rogers und Nicht-Klines in besseren Kontakt mit unserem Gegenüber kommen.
Auf den Arbeiten von Rogers aufbauend hat der eingangs zitierte Sozialpsychologe Guy Itzchakov in seiner Forschung Belege für dessen Thesen gefunden [1]. Dieser gemäss führt das gute Gefühl, das wir unmittelbar haben, wenn uns jemand wirklich zuhört, zu einem Gefühl der Sicherheit, das erlaubt, sich nicht mehr verteidigen oder rechtfertigen zu müssen: Wir vertrauen uns dem Gegenüber an. Das erlaubt, uns beim Reden zuzuhören und so das Denken zu schärfen oder zu klären. Zuhören sei sogar besser als konstruktive Kritik oder Lob. Itzchakov schreibt, seine Forschung zeige, dass Kritik oder Lob bei 40% der Mitarbeitenden nicht etwa zu besseren, sondern zu schlechteren Leistungen führe.
Die ‘Theory U’ fusst auf Zuhören
Zuhören ist mehr als Hören und Hinhören. Die beiden letzteren sind passive Vorgänge: Ein Laut dringt ans Ohr und man hört ihn bzw. jemand spricht und man hört es, während man mit seiner Tätigkeit weitermacht. Zuhören dagegen ist aktiv, aufmerksam und achtsam. Auch für den Entwickler der ‘Theory U’, Otto Scharmer, ist das Zuhörenkönnen die Schlüsselfähigkeit für gesellschaftliche Transformation. Er unterscheidet vier Ebenen bzw. Arten des Zuhören (siehe auch Youtube-Video mit ihm sowie [5]):
- Downloaden: Das Zuhören dient der Bestätigung bereits vorhandener Urteile - man hört nur, was den eigenen Erwartungen entspricht.
- Objektivierendes Zuhören (“Seeing”): Das Öffnen des Denkens: Scharmer nennt es auch journalistische oder wissenschaftliches Zuhören: Kognitiv verstehen wollen, was gesagt wird – und insbesondere das, was von den eigenen Vorstellungen abweicht: Die Aufmerksamkeit liegt auf dem Neuen und bedingt Unvoreingenommenheit.
- Empathische Zuhören (“Sensing”): Das Öffnen des Fühlens: Wenn sich die Wahrnehmung zur anderen Person und ihrer Perspektive verschiebt. Empathie prägt das Zuhören. Auch das Unausgesprochene hören, wie z.B. im Coaching.
- Schöpferisches Zuhören (“Presencing”): Das Öffnen des Willens., wie dem Scharmer sagt: Hier entsteht eine besondere Nähe zwischen den Gesprächspartner:innen, ein Flow, der in co-kreativen Ideen mündet - und gar in ein gemeinsames Handeln. Itzchakov nennt dies “togetherness”; wenn etwas entsteht das grösser ist, als die beiden Einzelnen.
Dabei sollte die erste Art des Zuhörens ausser im Small Talk eher vermieden werden. Wird das objektivierende Zuhören mit dem empathischen Zuhören ergänzt, erweitert das den Austausch und die Resonanz. Das geschieht beispielsweise dadurch, indem man nach den Gefühlen fragt, à la: ‘Was macht das mit dir?’. Offen und neugierig, ohne kritischen Unterton.
Nota bene: Das im Berufsalltag zu tun, ist oft mit Hemmungen verbunden. Es kann deshalb hilfreich sein, zum Beispiel zu fragen: Ist es okay für dich, wenn ich aktiv zuhöre, paraphrasiere, was ich verstanden habe und nachfrage, welche Gefühle im Spiel sind? [6]
Wandel dank Zuhören
Transformation kann gemäss der Theory U nur auf den Zuhörebenen drei und vier eingeleitet werden. Ob Organisationsentwicklung, Entwicklungsprojekt oder Klimakampagne. Objektivierendes Zuhören genügt nicht, weil man nicht mit-fühlt – doch bekanntlich sind die Gefühle die Treiber für Handlung und Nicht-Handllung. Will man wirklich ändern, geht es nur mit Mit-Gefühl und Partizipation (oder mit viel Geld und Macht). Und Beteiligung geschieht, wenn die Beteiligten mitgestalten können und ihre Befürchtungen gehört werden. Dann wird Ownership übernommen. Diese manifestiert sich darin, wenn ohne Angst eigene Ideen entwickelt werden können.
Und dafür braucht es Zeit: “Es kostet viel Anstrengung zuzuhören. Und es braucht viel Anstrengung zu verstehen” (Willy Brandt). Und vor allem auch um zu erfühlen, was der/die andere meint. Doch was anstrengt, lässt man leider oft bleiben.
Die Welt zu verändern – ob im Kleinen, im Mittleren oder im Grossen - ist äusserst dringlich. Es braucht Aktivismus – jedoch einen, der auf Zuhören aufbaut (mehr dazu in der Kolumne “Wie die Transformationskurve kratzen?”). Doch ja, in einer Welt voller Lärm, ist es schwierig zuzuhören.
Time to think
Im Buch Time to Think (Cassell Illustrated, 1999), mit dem Untertitel “Listening to ignite the Human Mind”, betont Nancy Kline die Wichtigkeit des Zuhörens fürs Denken. In ihrem Modell der menschlichen Interaktion fasst sie zehn Verhaltensweisen zusammen, das die Art und Weise, wie Menschen denken, und damit auch wie sie arbeiten und leben, verbessert. Die dafür nötige Denkumgebung (“Thinking Enviroment”) entsteht, wenn diese Verhaltensweisen zum Tragen kommen, die da sind: Aufmerksamkeit, Wertschätzung, Leichtigkeit, Ermutigung, Vielfalt, Information, Gefühle, Gleichheit, Ort und das, was sie ‘einschneidende Fragen’ nennt. Für den Alltagsgebrauch hat sie ein Tool für eine bilaterale ‘Time to think’p entwickelt, das 20 Minuten dauert und auch in Sitzungen integriert werden kann (hier das Tool als Foliensatz).
[1] “Listening to understand: The role of high-quality listening on speakers’ attitude depolarization during disagreements”, Guy Itzchakov et al., Journal of Personality and Social Psychology, 2023 (zitiert nach Psychologie Heute, 03/24)
[2] Time to Think, Nancy Kline, 1999 – darin Kapitel 3, aus dem die Zitate stammen.
[3] Weitere Feinde guten Zuhörens sind Befürchtungen: Die Befürchtung, wegen des Gehörten eigene Ansichten korrigieren zu müssen, oder Status zu verlieren, wenn man nicht das Wort führt oder aber auch eine Furcht vor Nähe (denn zuhören schafft Nähe, was nicht in allen Situationen gewünscht ist [Psychologie Heute, 03/24]).
[4] Entwicklung der Persönlichkeit: Psychotherapie aus der Sicht eines Therapeuten, Carl Rogers (Klett-Cotta, 2018, 21. Auflage (1. aufl.1961))
[5] Essentials der Theorie U: Grundprinzipien und Anwendungen, Otto Scharmer, Carl-Auer-Verlag 2019
- Otto Scharmer, schriftliches Interview zur Theorie U und dem Zuhören hier.
- Youtube Interview, 10’: https://www.youtube.com/watch?v=McEqMjQpuGM
- Four levels of Listening and of Conversation – siehe collbaroatiohelevetica.ch
- Hier eine kleine Übung das Zuhören zu lernen (um das Problem zu mildern, dass viele Engagierte in einem steten Mach-Modus stehen, der das Zuhören behindert).
- Ein illustratives, etwas bizarres Beispiel für die Wichtigkeit, zuhören zu können: Der CIA hat längst erkannt, wie wichtig Zuhörfähigkeit fürs Agententum ist. Es ist nun aber nicht etwa so, dass er seine Agent:innen im Zuhören schult, sondern umgekehrt, dass er gute Zuhörer:innen rekrutiert und zu Agent:innen ausbildet.
[6] Diese Methode wird auch Deep Listening genannt und baut auf drei Elementen: Embodiment, Präsenz und mitfühlende Verbindung – und kann als Zertifikatskurs gelernt werden. Aus: Rosamund Oliver, Deep Listening als Training in Natur&Heilen, Heft 2/2024 (oder hier: deeplisteningtraining.com).
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Unser Gastautor
Kuno Roth schreibt nicht nur Kolumnen, sondern auch Gedichte: Sein siebter Lyrikband – «seelensee – gedichte zu inneren und äusseren landschaften» – erschien im November bei PRO LYRICA: 100 feinsinnige, aufbauende Gedichte über vielfältiges Natur-Erleben. «Bodennah mit Tiefe», meint der Verlag dazu. «Sowohl Dünger als auch feine Hacke zum Schürfen im Seelengarten» findet eine Leserin.
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