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Hypnosis by MK Hamilton via unsplash

Kuno Roth über hypnosystemisches Campaigning

Für gesellschaftlichen Wandel von der hypnosystemischen Therapie lernen

 

Das Gebaren der «westlichen Gesellschaft» erinnert an einen Menschen, der schwer krank ist, das aber selber nicht anerkennt. Fieber, Kopfschmerzen, Bluthochdruck, Übergewicht und Depression sind für ihn Symptome, die es halt gibt und die vorübergehen.

Dass dem nicht so ist, sondern die Krankheiten zunehmen, wissen wir Engagierten und versuchen deshalb, mit Kampagnen gewissermassen gesundheitlich zu intervenieren. Die traditionelle Art des Campaignings lässt sich vergleichen mit dem Bemühen, dem Patienten zu zeigen, was er falsch macht und ihn zu gesünderen Verhaltensweisen zu drängen. So soll er zum Beispiel weniger dick machenden Regenwald essen, aufhören, Benzin und Heizöl zu bechern; und ausserdem Fleisch, Flugzeug und Plastik meiden. Man verschreibt ihm viele Diäten. Als Folge beschleicht den Patienten zwar bisweilen ein schlechtes Gewissen, doch kurz darauf wendet er sich wieder dem Kühlschrank zu. Und hat man ihm diesen einer Diät wegen versiegelt, weicht er auf die Vorräte des Nachbarn aus.

Solches Campaigning gleicht jener Schulmedizin, die den Patienten mit der Diagnose konfrontiert und Angebote macht, die auf der Annahme basieren, ein Abhängiger, z.B. ein Raucher, komme durch rationale Erklärungen zur Einsicht. Das gelingt dem Campaigning wie der Schulmedizin eher selten. Blicken wir auf die letzten Jahrzehnte Kampagnenarbeit zurück, sind «schulmedizinische Erfolge» jedenfalls eher die Ausnahme denn die Regel.

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Eine andere, seltenere Art des Campaignings ist die Lösungsorientierung mit systemischen Blick. Statt dem Patienten das Problem wiederholt unter die Nase zu reiben, spürt man mit ihm gute Verhaltensweisen auf. Diese sind bereits ansatzweise vorhanden – kein Kranker verhält sich immer nur krankmachend. Lösungsorientierung heisst nicht, Probleme zu leugnen. Jede Lösung braucht ja ein Problem; einzig der Fokus verschiebt sich weg vom Problem hin auf die eigenen Kompetenzen und Gefühle.

 

In der Psychotherapie gibt es die hypnosystemische Therapie – eine Form der Therapie, die sich dadurch auszeichnet, dass sie sich auf die vorhandenen Kompetenzen sowie den inneren Dialog der Patient:innen konzentriert. «Hypno» meint dabei nicht, dass Hypnose zum Einsatz kommt – das kann sein - sondern dass man wie in Trance in einer Verhaltensmuster-Rinne steckt. Die hypnosystemische Herangehensweise sieht die Symptome als Ausdruck von nicht geglückten Lösungsversuchen und erforscht die Gründe, weshalb sich eine Person so und nicht anders verhält und versucht so herauszufinden, welcher innere Dialog zu den Symptomen führt. Man geht also davon aus, dass bei einem Problem-Erleben die verschiedenen «inneren Anteile» einer Person nicht kooperieren – vergleichbar mit unterschiedlichen Meinungen in einer Gruppe. Zwar braucht es ein Leiden als Auslöser für die Suche nach Lösungsansätzen; doch geht es nicht primär darum, das Leid zu ergründen, sondern welche Bedürfnisse dahinter liegen und die vorhandenen Ressourcen zu erkennen und freizulegen: Damit beginnt die Heilungsreise, die aus dem Loch führt. Es wird sozusagen ausserhalb des Lochs nach Licht gesucht, statt mit Licht die Tiefe des Lochs zu zeigen [1].

 

Im Umweltschutz hiesse das, dem «grünen Impuls», ein umweltschädliches Verhalten (also ein Symptom) moralisch zu bewerten, zu widerstehen. Und stattdessen dieses sozusagen als Anliegen innerer Stimmen - darunter starke wie jene der Gewohnheit, Bequemlichkeit oder Angst - zu respektieren und nach Lösungen zu suchen. Also nicht zu verurteilen, sondern davon ausgehen, dass alle leben und die Welt erhalten wollen. So gesehen wären Andersdenkende zu wenig berücksichtigte Anteile, die beharrlich krank machen, weil ihre Bedürfnisse nicht oder zu wenig berücksichtigt werden. Das ist die Theorie und schneller gesagt als in die Praxis umgesetzt, doch als Denkanstoss vielleicht hilfreich.

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In der hypnosystemischen Therapie wird das zwar selten, aber doch auftretende stimmige Verhalten oder Handeln dadurch verstärkt, dass dieses wiederholt erlebbar gemacht wird. Dadurch, und mit dem Erforschen des inneren Dialogs, kommt ein Patient aus seiner Leiden verursachenden Musterrinne in ein neues, kraftgebendes Verhalten. Ausgegangen wird dabei von der Beschreibung des Wunschzustandes: Mit welcher Metapher würde der Patient diesen ausdrücken? Dieses Narrativ ist wie das Licht am Ende des Tunnels, mit dem man aus dem negativen Sog herausfindet. Grundlegend für den Therapieerfolg ist die Neugierde und das echte Interesse der Therapeutin am Patienten, ihre Unvoreingenommenheit und respektvolle Haltung.

 

Stellt man sich nun also Campaigning als gesellschaftliche Therapie vor, könnte man versuchen, hypnosystemische Ansätze auf gesellschaftliche Gruppen zu übertragen. Nach dem Motto: Suche nach Lichtblicken und verbreite oder verstärke sie. Das heisst, die Probleme der Patientin «westliche Gesellschaft» würden nicht mehr direkt angesprochen, sondern thematisiert würden die Bedürfnisse und sich daraus ergebende Lösungen.
Dabei ist darauf zu achten, dass das «therapeutische Kampagnensetting» von einem partnerschaftlichen Austausch unter Stakeholdern ausgeht. Beispielsweise würde dann auf dem Weg zu einer pestizidarmen Landwirtschaft ein pestizideinsetzender Bauer nicht verurteilt, sondern es würde - neugierig und urteilsfrei - ergründet, warum er das macht, obwohl er weiss, dass es nicht gesund ist. Was geschieht in seinem inneren Team? Was braucht seine ängstliche Stimme, die um die Existenz fürchtet? Berücksichtigt wird das System, in dem er aufgewachsen ist und lebt. Ängste ernst nehmen und nicht darüber hinweggehen, wäre der hypnosystemische Weg. Und wohlgemerkt, respektieren heisst nicht akzeptieren.

 

Nota bene: Natürlich leiden die Bauern, die Pestizide einsetzen, nicht unbedingt darunter und suchen ergo keine ‘Therapie’. Trotzdem: unvoreingenommen zuhören, echt neugierig sein und nicht schon wissen, was das Richtige für ihn ist, geht auch ohne Therapie (siehe Kolumne «Fragen statt sagen»). Andern partnerschaftlich und nicht paternalistisch zu begegnen, bereitet vielen Engagierten oftmals Schwierigkeiten.

 

Sowohl direktive wie auch hypnosystemische Therapeut:innen wollen den Patienten im Prinzip weg «vom Vom» hin «zum Zum» bringen. Letztere vertreten den Standpunkt, das gehe nachhaltig nur, wenn der Patient das selbst auch will. Direktive hingegen meinen, der Leidensdruck müsse verbal erhöht werden, damit der Patient zum Zum aufbreche. Doch dieser neue Zustand klingt nur dann als erstrebenswert, wenn er mit Lustgewinn verbunden und erreichbar scheint. Der Zielzustand Zum wirkt ausserdem attraktiver, wenn der erste Schritt aufwandsarm gegangen werden kann und das Vom noch nicht ganz aufgegeben werden muss. Denn in diesem Ausgangszustand wohnt die Macht der Gewohnheit. 

 

Das Zum dagegen ist fremd, und Fremdes macht zuerst einmal Angst. Dem Fremden durch Annähern und Üben das Angstmachende nehmen, wäre hypnosystemisches Campaigning: Gemeinsames Interesse für die Vision wecken und sie erlebbar machen. Ängste würdigen und Ablehnung neugierig erforschen - beides enthält viel Information. Gemeinsames Rudern lässt diese «Symptomträger:innen» im Boot bleiben. 


 

Mit herzlichem Dank an Christine Steiner für die fachlichen Inputs und Anmerkungen.

(1) Hypnosystemische Therapie geht also nicht von «Krankheit» aus, sondern sucht nach dem Sinn hinter einem Verhalten des Symptomträgers innerhalb eines menschlichen Systems. Mehr: https://de.wikipedia.org/wiki/Hypnosystemische_Therapie

(2) Ähnlich ist die «Appreciative Inquiry» Methode: Diese «wertschätzende Untersuchung» sucht mit Fragen das, was schon funktioniert und gut ist in einer Gemeinschaft, sichtbar und bewusst zu machen. Das gibt Energie und stärkt ihre Vitalität.

 

Kuno Roth «Klima Vista»

Unser Autor

arbeitete zuletzt als Leiter des globalen Mentoring- und Coaching-Programms bei Greenpeace International. Zuvor war er 25 Jahre lang Bildungsverantwortlicher von Greenpeace Schweiz. Frisch pensioniert, ist er weiterhin als Berater tätig und amtet zudem als Co-Präsident von Solafrica.

Jahrgang 57, Dr. rer. nat., ehemaliger Chemiker, nunmehr Humanökologe, Lernspezialist sowie Schriftsteller. Neben Kolumnen schreibt er vor allem Gedichte und Aphorismen. Seine letzten Veröffentlichungen sind «Im Rosten viel Neues» (Gedichte, 2016), «Aussicht von der Einsicht» (Aphorismen, 2018) sowie ‹KL!MA VISTA – Die Schneefallgrenze steigt› (2. Aufl. 2022, bei Pro Lyrica).

Kuno Roth