Burn-out in der Hitze des Klima-Gefechts

Globe - Alin Andersen

Eigentlich sind wir Human Beings nicht Human Doings

Wer sich ehrenamtlich engagiert, lebt besser, ist gesünder und resilienter, wie zahlreiche Studien zeigen [1]. Wenn es sich um ein helfendes Engagement handelt, sprechen Psycholog:innen vom «helper’s high», wie das Fachmagazin Psychologie Heute schreibt (1).  Und weiter: «Auch wenn ehrenamtliche Helfer oftmals burnoutgefährdet sind, gibt es doch zahlreiche wissenschaftliche Belege dafür, dass Helfen eine resilienzstärkende Ressource ist». 

Burnoutgefährdet? Ja, leider: Das Umgekehrte gibt es nämlich auch: Wer sich (über)engagiert, der/dem kann Burn-out drohen.  Burnouts unter Aktivist:innen und Engagierten nehmen zu. So hat Amnesty International kürzlich ein Manual «Staying resilient while saving the World» (2) für Aktivist:innen publiziert, und die Plattform «Activist-Trauma» warnt in ihrem Flugblatt «Sustainable Activism & Avoiding Burn-Out» vor Überengagement («Nachhaltiges Aktivsein & Burnout vermeiden», (3)). 

Ein hinkender, aber hilfreicher Vergleich

Aktivismus und Engagement brauchen viel Energie, wie ein grosser sportlicher Einsatz. Während die Spitzensportlerin aus ihrem Körper ein Mittel zum Zweck macht, Meisterschaften zu gewinnen, setzt der Aktivist seine Kraft und Zeit als Mittel zum Zweck der Weltrettung ein. Er macht sich selber zum Instrument für die höhere Sache Klimaschutz. Während Sport ein freiwilliger Versuch ist, persönliche Grenzen zu überwinden, ist Aktivismus ein freiwilliger Versuch, gesellschaftliche Hürden zu bewältigen. 

Das ist die Ähnlichkeit. Der grosse Unterschied ist der: Die Sportlerin hat eine kleine, aber reale Chance, das Ziel aus eigener Kraft zu erreichen oder zumindest in die Nähe des Ziels zu gelangen. Ein Klimaaktivist dagegen hat keine solche Chance. Alleine schon gar nicht. Klimaziele können nur als Bewegung, in Kommunen und mit Politik erreicht werden. Setzt sich der Aktivist unablässig so ein, als sei sein eigener Beitrag im Hier und Heute matchentscheidend, und sieht dann doch keinen Erfolg, droht ein Burnout. Oder er greift wie gewisse Sportler zum Doping oder Medikamente.

Nicht nur sinnentleerte Arbeit macht krank, sondern unter Umständen auch sinnvolle, wie das eine Studie von 2016 erstmals an den Tag brachte (4). Vor allem dann, wenn der Unterschied zwischen dem, was man möchte oder können sollte, und dem, was man (erreichen) kann, gross ist, gibt es grosse Burnoutgefährdung. Es ist deshalb wenig verwunderlich, dass es im Umfeld des Climate Justice Engagements von Amnesty und bei Greenpeace Anlass zur Sorge gibt (5). Zum Glück gibt es aber auch Gegensteuer: Mit Kursen und Austauschforen sowie auch neuen Kampagnenansätzen (z.B. «empathic and mindful campaigning» nach dem Feel-Think-Act-Modell (6). 

Klimaengagierten, in einem gewissen Sinne sind sie «Klima-Helfer:innen», droht die Gefahr eines Burnouts deshalb besonders, weil die Diskrepanz zwischen (globaler) Herausforderung und individueller Machbarkeit enorm ist. Zwar gibt es Einzelpersonen - Ghandi, Mandela, Greta - die Grossartiges, Erstaunliches anzetteln konnten und können. Doch sie sind dünner gesät als die Sechser im Lotto. Hat man Gandhi-Aspirationen, kann die Enttäuschung besonders gross sein; denn viel wahrscheinlicher ist es, dass eine direkte Erfolgserfahrung ausbleibt und so alle Kraft gefressen wird. Man landet wahrscheinlich im Frust, kann man sich vor lauter Sinn nicht abgrenzen, wenn die heilige Dringlichkeit des Planetenrettens schreit. Der Stress zwischen dem Ressourcen-Amboss und dem Hammer der Erwartungen und Ansprüche – eigener und fremder – verbindet sich im NGO-Bereich mit dem Gruppendruck und der Erwartung, bald etwas Grosses erreichen zu müssen. Kombiniert mit mangelndem Erfolg (der grosse Coup gelingt ja selten), kann das zu Burnout-Situationen auch unter Campaigner:innen führen, zumal wenn die Ambitionen hoch sind.

Hilft nun Engagement oder kann es gefährden?

Das «Planetenretten» funktioniert nur in der Gemeinschaft. Wie das gehen könnte, zeigte ansatzweise die Konzernverantwortungsinitiative: Nicht als Einzelne:r aktiv sein, sondern mit abertausend Gleichgesinnten, organisiert in 500 lokalen und regionalen Gruppen. Das hat die Kraft entwickelt, die es brauchte, das Unglaubliche des Volksmehrs zu schaffen. Einzig wegen des fehlenden Ständemehrs blieb es beim Teilerfolg.
Ermutigende gemeinsame Erfahrung und konkrete Fortschritte – Flüchtling geschützt, Solaranlage auf dem Schulhaus installiert, die Gemeinde plastikfrei gemacht - konkrete Resultate, (bescheidene) Erfolge sind die Gegenmittel zum Burn-Out. Mit einem Schuss Freundlichkeit, Lebensfreude und Musse macht Engagement resilient. Wohl gemerkt, es geht dabei nicht um kurzzeitige Resilienz, die wieder fitter macht, um das Engagement etwas länger zu stemmen. Das wäre Symptombekämpfung. Es geht um das Mass an sich und darum, sich selber als Teil der Transformation zu verstehen, und zwar freudig.

Was tun, wenn Klimabewegte im Tunnel des Aktivismus Gefahr laufen zu verbrennen? Die Botschaft «Du bist wichtig. Aber entspanne dich, auf dich kommt es nicht in jedem Fall drauf an» hilft nicht jeder und nicht in jedem Fall (siehe z.B. (7)). Das Argument, wenn du krank wirst, nützt das weder dem Klima, noch der Bewegung noch dir, leuchtet jedem ein, ist aber nicht in jedem Fall von durchschlagendem Erfolg gekrönt. Ebenso beim Argument, dass unter Druck selten kluge Lösungen geboren werden, sondern eher aus Musse und Zeit. Wie es die alten Griechen und Walt Disney bereits erkannt hatten.

Nicht ermutigend aber erhellend stellt der Schriftsteller John Berger fest (zitiert in einem Beitrag im «Das Magazin» (März 2020)): «… Man protestiert, weil es demütigend wäre, es zu unterlassen, es wäre auszehrend (…) Ein Protest ist nicht unbedingt ein Opfer, das man für eine Alternative darbringt, sondern er bedeutet ganz einfach Zukunft; er ist die folgenlose Erlösung von der Gegenwart. Das Problem ist, wie man auf immer und ewig mit dem Adjektiv ‘folgenlos’ zurechtkommen soll.»  

Meines Erachtens geht es vor allem darum, zeitweise aus dem «Hauptsache-etwas-tun»-Modus rauszukommen. Die Heiligkeit und Eiligkeit des Tuns kann ungesund sein, schliesslich sind wir Human Beings und nicht Human Doings: Weniger aktivistisches Tun, mehr reflektives und gestaltendes Sein als Prävention von Burn-out. 

PS: Übrigens, a propos KOVI: Empörung und Brandmarkungen standen mir – auch - bei dieser Kampagne zu sehr im Zentrum. Positive Botschaften und Beispiele, die zeigen, dass faires Wirtschaften möglich ist, gäbe meines Erachtens jeder Kampagne mehr Änderungskraft.

 

  1. - Sich in der Freizeit sozial zu engagieren ist gesundheitsfördernd. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie «Busy yet socially engaged» von Romualdo Ramos (2015) 
    - Freiwilligenarbeit ist gesund. In einer Studie wiesen Freiwillige, die sich einmal wöchentlich engagieren, deutlich bessere Gesundheitswerte aus als die inaktive Kontrollgruppe. (Quelle Benevol Zug, 2019) 
    - Psychologie Heute, Compact «Resilienz», Nr. 2/2020 
  2. Amnesty International Manual: Volume 2 in the Staying Resilient While Trying to Save the World series "A Well-Being Workbook for Youth Activists"
  3. Sustainable Activism & Avoiding Burn-Out (zudem, fyi: oder siehe auch: sowie History of Burnout (Huffington Post, Dec 2020)). Es gibt in der Tat psychotherapeutische Angebote z.B. unter dem Namen: «Sorge tragen zum Klima – Sorge tragen zu mir».
    Siehe auch psychologistsforfuture.org bzw deren 2020-Tagung: Klimakrise und Klimaresilienz
  4. Burnout in Social Justice and Human Rights Activists: Symptoms, Causes and Implications
  5. Collective Climate Action workshop: RESILIENCE & WELLBEING - for more joyful activism and not burn out trying
  6. Feel, Think, Act: transforming emotional barriers into resilient activism
  7. Preventing Busyness from Becoming Burnout (Harvard Business Review)

 

Kuno Roth

Unser Autor

Arbeitet als Leiter des globalen Mentoring-Programms bei Greenpeace International. Zuvor war er 25 Jahre lang Bildungsverantwortlicher von Greenpeace Schweiz. 

Jahrgang 57, Dr. rer. nat., ehemaliger Chemiker, arbeitet nun als Humanökologe, Lernspezialist sowie auch Schriftsteller. Neben Kolumnen schreibt er vor allem Gedichte und Aphorismen. Seine letzten Veröffentlichungen sind «Im Rosten viel Neues» (Gedichte, 2016) sowie «Aussicht von der Einsicht» (Aphorismen, 2018). Sein neuestes Buch ‹KL!MA VISTA – Die Schneefallgrenze steigt› Gedichte und Aphorismen ist am 23.10.2020 bei Pro Lyrica erschienen.

Kuno Roth