Das ungenutzte Potential von Steuern
Der Begriff „Steuer“ ist und bleibt ein Reizwort. Es reizt die allermeisten erwachsenen Menschen enorm und löst bei ihnen den unwillkürlichen Reflex aus, sich in der einen der anderen Form über zu hohe Steuern zu beklagen. Als ob es einen kulturellen Subtext gäbe, der ihnen geböte, dies zu tun.
Und es ist dieser Reflex, der verhindert, dass die eigentlich formidable Eigenschaft von Steuern, nämlich steuern zu können, vermehrt zum Nutzen der Gesellschaft eingesetzt werden kann. Das enorme Potenzial lässt sich anhand von Fällen veranschaulichen, in welchen Steuern als Gebühr, Lenkungs- oder Stempelabgabe getarnt werden konnten. Die Sackgebühr für den Haushaltabfall, eine Art Kopfsteuer mit über 98% Verhaltenserfolg, wäre ein Beispiel dafür. Ähnlich, wenn auch mit etwas anderem Prinzip, wirkt ein Depot, dessen Versprechen eine entrichtete Gebühr zurückbezahlt zu bekommen, eindrücklich steuert. So genügen 50 Rappen Pfand auf Retourflaschen, um 99.5% Rücklauf zu erzielen. Eine noch höhere Erfolgsrate erzielt das Einkaufswägeli-Management: Um den deponierten Franken zurück zu erhalten, stellen 99.9% der Einkaufenden den Wagen an den vorgesehenen Ort zurück. Wenn mit so wenig Aufwand, so viel gewünschte Wirkung erzielt wird, verleitet das dazu, darüber zu fabulieren, wie andere Alltagsprobleme weggesteuert werden könnten.
Für Störungen im Voraus bezahlen
Bereits das kleine Gedankenspiel, eine Smartphone-Steuer im Zug sowie auf öffentlichen Toiletten einzuführen, zeigt das riesige Potenzial auf:
Im Zug könnte dann künftig nur noch telefonieren, wer für diese Störung im voraus bezahlt hätte. Erfasst würde man beim Einstieg. Über die persönliche Chip-Karte würde nicht nur die Fahrt registriert, sondern gleichzeitig das Handy temporär stillgelegt. Ausser man hätte sich durch Entrichtung der Smartphone-Störsteuer elektronisch geschützt. Zwei Franken Abgabe pro Fahrt dürften genügen, die Zahl der Telefonierenden auf quasi Null zu reduzieren.
Andrerseits: Wer auf dem stillen Örtchen schon mal durch ein lautes Gespräch aus der Zelle nebenan gestört worden ist, wird gewiss auf eine Lösung in öffentlichen Toiletten drängen. Beispielsweise könnte eine wieder eingeführte WC-Aufsicht Smartphones während des biologischen Time-Outs in Obhut nehmen. Ausgenommen wären nur jene Wenige, die unter Bezahlung einer Gebühr beim Müssen noch dürfen.
Im Analogieschluss daraus ergäben sich auch für Kirchen einige Möglichkeiten, die Gehälter ihrer Pfarrer wieder aufzubessern. Wer z.B. während der Predigt höllisch wichtige Anrufe empfangen möchte, müsste dafür eine Pfarrlohn(ab)gabe entrichten.
Ungenutztes Potenzial
Auch andere Störungen wie Laubbläser, Off-Roader, überheizte Räume und weggeworfene Wegwerf-Verpackungen wären flugs auf ein erträgliches Mass reduziert, würde be- und damit gesteuert.
Last but not least könnte die Steuerbefindlichkeit mit den allseits beliebten repräsentativen Meinungsumfragen erhoben und genutzt werden: Jene Steuer, die sich das Volk am meisten wünscht, gäbe an, wo der gesellschaftliche Schuh gerade am heftigsten drückt. Das ist doch eine Kampagnenidee.
Kuno Roth arbeitet international als Leiter des globalen Mentoring-System bei Greenpeace. Jahrgang 57, Dr. rer. nat., ehemaliger Chemiker ist er mittlerweile Humanökologe, Umweltpädagoge sowie auch Schriftsteller.