Baustelle Barrierefreiheit: Wie siehts aus im Bundeshaus?
von Meret Schneider
Der Hackathon zum Thema Digitale Barrierefreiheit von Kampagnenforum für den Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverband SBV ist Geschichte - eine Erfolgsgeschichte, wie man angesichts der vielen Ideen und Anwendungsbeispiele sehen konnte. Aber nicht nur Ideen und Anwendungen für den Privatsektor sind wichtig: Auch die Politik müsste sich dem Thema widmen. Welche Relevanz geniesst das Thema auf dem politischen Parkett? Wo steht die Digitale Barrierefreiheit politisch und was wären nächste Schritte? Das Gewinnerteam des Hackathons verschaffte sich bei der Führung mit Meret Schneider vom Kampagnenforum und dem Austausch mit Gerhard Andrey, Nationalrat und Digitalpolitiker, einen Augenschein über die Bundesterasse hinaus.
Quo vadis Barrierefreiheit in Bundesbern: Ein Augenschein vor Ort nahm am 13. Juni das Gewinnerteam des Hackathons für Digitale Barrierefreiheit. Mit ihrem Lösungsansatz, einem Chat-Interface, mit welchem man ChatGPT Fragen zum Produktbild stellen konnte wie "Hat dieser Backofen physische Bedienelemente?", die von ChatGPT beantwortet wurden, haben sie den Hackathon und damit eine Führung durchs Bundeshaus mit Input von Nationalrat Gerhard Andrey gewonnen.
Ziel: eine Bestandesaufnahme und ein Ausblick - was lief bisher, was könnte noch gemacht werden und warum geniesst die wichtige Thematik noch immer keine politische Priorität? Fragen, die niemand besser beantworten könnte als Gerhard Andrey, Nationalrat der Grünen und langjähriger Digitalpolitiker. Neben inhaltlichen Fragestellungen zur Thematik stand auch ein Einblick ins Treiben im Parlament durch Meret Schneider vom Kampagnenforum auf dem Plan; am letzten vollen Tag einer anstrengenden Sommersession auch von Unterhaltungswert geprägt.
Bundeshaus - die Basics
Nach einer Sicherheitskontrolle, bei der durch das Deponieren der Getränke stets auch der Umsatz im Café, der Galérie des Alpes, gefördert wird, folgte ein Rundgang durchs Bundeshaus.
Wer sind die Statuen beim Eingang? - Die Eidgenossen.
Wo finden die Lobbygespräche statt?- Im Zeitungszimmer und der Wandelhalle.
Warum sind so wenige Nationalräte und Nationalrätinnen im Ratssaal während der Debatten? - Weil sie aufgrund der Kommissionssitzungen die Positionen und Argumentationen ohnehin kennen und währenddessen Gespräche führen, Allianzen schmieden oder an Geschäften arbeiten.
Sind Lobbyisten tatsächlich so wichtig? - Die ausgewiesenen, externen Lobbyisten im Bundeshaus sind tatsächlich weniger problematisch als jene, die als Nationalräte direkt im Parlament sitzen.
Sollen die Kantone entscheiden
Neben diesen Fragen und der ein oder anderen Anekdote aus dem Nähkästchen genoss die Gruppe den Ausblick von der Bundesterasse, den Anblick in den Ratssaal rennender Parlamentarier*innen vor der Abstimmung, den Einblick ins geschäftige Treiben in der Wandelhalle und verlor kurzzeitig den Überblick beim Aufsuchen des Zimmers zum Austausch mit Nationalrat Andrey. Beim Austausch wurde dessen Motion für Digitale Barrierefreiheit im Privatsektor diskutiert, die kürzlich im Nationalrat gescheitert war, obwohl sich sogar der Bundesrat dafür ausgesprochen hatte. Der Bundesrat sollte damit beauftragt werden, dem Parlament eine Vorlage für verbindliche Grundlagen zur Sicherstellung der digitalen Barrierefreiheit von IKT-Produkten und -Dienstleistungen im Privatsektor zu unterbreiten. Dadurch soll ermöglicht werden, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigte Möglichkeiten im Zugang und in der Benutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen erhalten, wie es in der von der Schweiz ratifizierten UNO-Behindertenrechtskonvention (UNO-BRK) festgeschrieben ist. Obwohl der Bundesrat selber die Annahme der Motion empfohlen hatte und sich damit zur Umsetzung bereit erklärte, scheiterte sie im Parlament. Dies primär deshalb, weil die FDP-Fraktion das Anliegen kurzfristig geschlossen ablehnte mit der Begründung, dieses Thema liege in kantonaler Kompetenz.
Was tut man nach einer Ablehnung eines so wichtigen Vorstosses? Das Anliegen genau gleich national noch einmal aufzugleisen ist oft wenig erfolgversprechend - aber statt die Flinte ins Korn werfen wir im Gespräch lieber einen Blick auf alternative Möglichkeiten. Im Gespräch mit Nationalrat Gerhard Andrey kommen wir zum Schluss, dass eine Aufgleisung der Motion in verschiedenen Kantonsparlamenten gewinnbringend sein könnte - somit könnten einige erste Kantone als Pioniere vorangehen und den Weg bereiten. Ausserdem könnte man die kantonalen Politikerinnen und Politiker der FDP auf die Argumentation ihrer nationalen Kollegen verweisen - das Thema ist wichtig, liegt aber in der Zuständigkeit der Kantone. Auch eine Kampagne des SBV zusammen mit einem grösseren Unternehmen wie Galaxus, die als Vorreiter vorangehen könnten, wäre in den Augen des Nationalrats spannend: Letztlich sind es die Unternehmen, die durch einen grösseren Kundenstamm als erste von Barrierefreiheit im Sektor e-commerce profitieren! Die Ideen und Inputs nahm die Gruppe bei einem Kaffee in der Galérie des Alpes dankbar mit und diskutierte sie noch auf dem Rückweg zum Bahnhof. Welche weiterverfolgt wird, wird sich zeigen, aber klar ist: so schnell die Parlamentarier*innen vor Abstimmungen in den Ratssaal sprinten, so träge bewegen sie sich, wenn es darum geht, Digitale Barrierefreiheit umzusetzen. Ein Grund mehr, dran zu bleiben und das Thema auf die Agenda zu setzen: Gesellschaftlich, politisch und öffentlichkeitswirksam, damit wir beim nächsten Besuch feststellen können: Und sie bewegen sich doch.
Unsere Autorin
Meret Schneider ist Linguistin, Kommunikations- und Umweltwissenschaftlerin und arbeitet als Projektleiterin für das Kampagnenforum. Davor war sie Nationalrätin des Kantons Zürichs, hat als Co-Geschäftsleitung einer NPO die Initiative gegen Massentierhaltung mitinitiiert, die Kampagne begleitet und war in verschiedenen Bereichen der landwirtschaftlichen Praxis tätig. Heute ist sie ausserdem freischaffende Journalistin und schreibt wöchentliche Kolumnen für Moneycab sowie Gastbeiträge für Nau.ch.