Welche andere Forschung also? (Teil 2 von 2)

Patrick Robert Doyle - Rhonegletscher

Zweiter Teil der Kolumne «Klimaforschung auf Eis legen»

Für die notwendige gesellschaftliche Weichenstellung brauchen wir, wie im 1. Teil der Kolumne dargelegt, keine weitere naturwissenschaftliche Klimaforschung. Wir wissen genug. Sie kann auf Eis gelegt werden.

Womit wir uns befassen müssen ist, wie wir den Wandel real in Gang setzen können. Da hilft uns die Naturwissenschaft nicht weiter, wohl aber empirische, transformative, sozialpsychologische und verhaltensökonomische Forschung. Eine wichtige Einsicht aus dieser Forschung ist seit längerem bekannt: Es ist nicht das Wissen und die Information, die zum gesellschaftlichen Wandel führen, sondern vielmehr “psychologisch-emotionale” Mechanismen. 

Ein paar Beispiele aus solcher Transformationsforschung: 

  • Die Brüder Chip und Dan Heath haben 50 Fälle von realem Wandel untersucht und daraus das Transformationsmodell «Elephant – Rider – Path» entwickelt. Es besagt: Erst wenn der träge Elefant erkennt, dass die ersten Schritte machbar sind, ist er bereit, dem Weg zum Ziel zu folgen, das der Reiter anstrebt (mehr dazu: Entlernen - einfach aber nicht leicht). 
  • Transition-Town-Bewegung: 2007 in Totnes (UK) gegründet ist sie mittlerweile in über 1000 Städten in 40 Ländern aktiv. Wie «Transition» gelingt, hat unter anderem Rob Shorter erforscht. Er hat am Schumacher College dazu 2020 doktoriert und herausgefunden, dass eine Urkraft des Wandels die Imagination, also das «Was wäre wenn?» ist (“What if?”). Um von der Vorstellung zur effektiven Transformation zu kommen, so Rob Shorter, müssen vier Elemente vorhanden sein: 1. «Space» - mentale Räume zur Imagination. 2. «Place» - Orte der Begegnung. 3. «Practices» – Praxis, die verbindet. 4. «Pacts» – Koalitionen, die Imagination in kommunalen Wandel überführen (mehr hier und Forschungsnetzwerk). 
  • Und zum Dritten jene Forschung, die die Mechanismen erfolgreicher, das heisst breit wirkender sozial-ökologischer Geschäftsmodelle untersucht. Ein Beispiel dafür ist die Solarrevolution im ruralen Bangladesh, bei der binnen eines Jahrzehnts die Zahl der Solar-Homesysteme von null auf vier Millionen wuchs und die 25‘000 Arbeitsplätze schuf. Dieser Erfolg beruht darauf, dass die lokalen Solar-Unternehmen die Bedürfnisse der Landbevölkerung befriedigen konnten, wie die Mikrokredit-Expertin Nancy Wimmer in ihrem Buch "The Marketmakers» schreibt. Ihre Erkenntnis: Dass sich eine  solcher Marktansatz nicht auf ein Land und ein Produkt beschränkt, sondern übertragen werden könnte, ist eine ihrer wichtigsten Erkenntnisse (Zusammenfassung des Buchs).

Ein anderer Ansatz: Glücksforschung

Das Streben nach Glück und Zufriedenheit gehört zum Menschsein. Und eine nachhaltig zufriedene Gesellschaft lebt sozial- und umweltverträglicher. Freilich kann aber Glück nicht geplant werden. Beeinflussbar sind gemäss Glücksforschung hingegen die Voraussetzungen für Zufriedenheit, nämlich:

  • Selbstwirksamkeit und Sozialkapital: konzentriertes Tun, körperliche Betätigung, in der Natur sein, Hobbies, gute Sozialkontakte, intakte Familie, erfüllende Partnerschaft.
  • Wohlbefinden: Gesundheit, Bildung, Alleinsein können, Geborgenheit, Spiritualität, guter Arbeitsplatz.
  • Menschliche Qualitäten, wie Fairness, Mitgefühl, Bescheidenheit, Begeisterung, kommunikative Fähigkeiten, Neugierde, Widerstandskraft, Humor.

Um konsumistisches Schein-Glück einzudämmen, gilt es bei der Lebenszufriedenheit anzusetzen. Das heisst, die Erzählung der Lebensqualität dem vorherrschenden Narrativ «Glück = Geld = Konsum» entgegenstellen. Verzicht nimmt nicht, er gibt. So bilanziert eine Metastudie (Tages Anzeiger vom 16.12.21), dass das, was gesund macht – weniger essen, mehr Bewegung –, gut bzw. besser angenommen wird, wenn damit das Selbstwirksamkeitsgefühl oder das “Sozialkapital” gestärkt werden. 

Eine weitere psychologische Forschung 

Ein letztes Beispiel: Erkenntnisreich ist die Forschung des Psychologen Richard Wiseman, der die ‘weichen’ Erfolgsfaktoren des US-amerikanischen Raumfahrtprogramms «Apollo» untersuchte. Er wollte herausfinden, wie es psychologisch möglich war, das eigentlich Unmögliche zu schaffen und auf dem Mond zu landen. Denn beim Programmstart 1961 hatte es der längste bemannte Flug gerade mal auf 187 Kilometer über Meer geschafft. Doch tatsächlich: Der Mond, 350’000 Kilometer entfernt, wurde 1969 vom ersten Menschen betreten. Wiseman hat in Archiven recherchiert und Beteiligte interviewt, um die psychologischen Erfolgsfaktoren dieser Mission Impossible herauszufinden. Einige davon sind (mehr hier: Zum Mond und zurück):

  • Teamgeist und Fehlerfreundlichkeit: Den Crewmitgliedern wollten zusammen etwas Grosses erreichen. Bescheidenheit, Offenheit und Vertrauen formten den Teamgeist. Fehler wurden als interessant gesehen und nicht als etwas, das es zu vertuschen oder zu kritisieren gilt.
  • Passion und Kreativität: Gleichgesinnt und doch divers im Können und in der Art der Leidenschaften. Und Kreativität entwickelt sich aus dem Prinzip, nicht mit der ersten guten Idee loszurennen, sondern sich zu zwingen, weitere Ideen zu kreieren.
  • Rückzug und Unwissenheit: Das Apollo-Kernteam arbeitete abgekapselt von der Welt. Die Mitglieder waren noch keine 30 Jahre alt und konnten aus Unerfahrenheit sozusagen nicht wissen, dass Mondlandung eigentlich gar nicht geht.

Auch globaler Klimaschutz scheint ja eine Mission Impossible zu sein. Der Klima-Mond ist weit entfernt: «Netto Zero CO2 by 2050». Wir wollen und müssen dahin; allerspätestens dann. Die Frage an die Zivilgesellschaft und die Forschung wäre: Was könnte von den psychologischen Lehren des Apollo-Programms auf den Klimaschutz übertragen werden? Zusammen mit der grossen Kelle ein Programm für den Klima-Mond aufsetzen? Der Politik zeigen, dass und wie es geht?

Hier gilt es weiter zu forschen, nämlich nach dem Prinzip «Look for the bright spots and clone them», also erforschen, wo was warum funktioniert, wie sich gute Praxis etabliert hat - und wie diese verbreiten? Was sind die psychosozialen Faktoren und Mechanismen der Transformation: Warum konnte sich an gewissen Orten eine Kreislauf-Gastronomie oder ein Solar-Dorf entwickeln und wie können die Erkenntnisse und Prozesse auf andere Orte übertragen werden? Sodann müsste sich die Umweltpolitik das zu eigen machen: Nicht nur Einzelfälle kreieren, sondern für ihre Verbreitung sorgen. So dass immer mehr Firmen, Ämter, Kommunen, Siedlungen, Bürger:innen in ihrem Handeln wandeln. Also Forschung, die herausfindet, was es braucht, damit sich Einstellungen und Handlungsbereitschaft ändern. 

Die Schweiz könnte hierbei einen relevanten Beitrag leisten: Im kleinen helvetischen Labor Transformationspraxis zum Wohle der Menschheit forschend entwickeln. Wege aufzeigen, wie sich die Gesellschaft vom Würgegriff der unsichtbaren Hand emanzipieren und sich von sozialpsychologischer Forschung befruchten lassen kann.
 

Doch auch diese Forschung wird es nicht alleine richten können. Damit die Verursacher des Klimawandels für ihr Tun nicht mehr belohnt, sondern gemassregelt werden, braucht es die Politik: Statt in militärische Aufrüstung, in Klimafrieden investieren. 


PS: Natürlich gibt es noch viele weitere transformative Forschung wie z.B. die zum Happiness Index, jene zur Kreislaufwirtschaft (u.a. Uni Lausanne), die Scientist4Futures oder auch jene zum “Nudging” (kleine Schubser zur Verhaltensänderung; Einführung hier).

Kuno Roth «Klima Vista»

Kuno Roth

Arbeitet als Leiter des globalen Mentoring-Programms bei Greenpeace International. Zuvor war er 25 Jahre lang Bildungsverantwortlicher von Greenpeace Schweiz. 

Jahrgang 57, Dr. rer. nat., ehemaliger Chemiker, arbeitet nun als Humanökologe, Lernspezialist sowie auch Schriftsteller. Neben Kolumnen schreibt er vor allem Gedichte und Aphorismen. Seine letzten Veröffentlichungen sind «Im Rosten viel Neues» (Gedichte, 2016) sowie «Aussicht von der Einsicht» (Aphorismen, 2018). Sein neuestes Buch ‹KL!MA VISTA – Die Schneefallgrenze steigt› Gedichte und Aphorismen ist am 23.10.2020 bei Pro Lyrica erschienen.

Kuno Roth